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Meisterwerke Opus 55-B
Appendismus I
(Vorderansicht) HAW 2011,
Museum für Moderne Kampfkunst
Einleitung „Die
Produktionskosten dieses Bildes belaufen sich auf 100 Millionen
Euro.“
Diese Aussage verblüffte die
Fachpresse bei der ersten Vorstellung des Werkes. Die Erklärung:
Das vorliegende Objekt ist nicht
einfach ein Bild sondern ein zwei Stunden langer Kinofilm, bestehend
aus 172.800 Einzelbildern, die alle aufeinander geklebt wurden und
eine Skulptur
formen. Hintergrund: Klassik
und Moderne Die Filmindustrie stagniert.
Gebeutelt von Raubkopien, deren Ausmaß fast die
Graduierungs-Plagiate im Budo Business erreicht, und Konkurrenz
durch Billigproduktionen von Sozialen Schwätzwerken wie Farcebook,
Quietsch und Fasel, suchte man nach neuen Kaufanreizen für den
aufgeklärten Konsumenten. Nach dem Scheitern des Geruchfilms führten
Versuche mit Fühlfilm zu hohen Ausfallquoten im Publikum und
schließlich zum Verbot weiterer
Vorführungen. Nun soll die Welt der Appendismen
ein neues Zuschauerpotential erschließen. Die Einzelbilder nicht wie
beim herkömmlichen Film in Streifenform hintereinander anzuordnen
und dann aufzurollen, sondern aufeinander zu montieren, stellt eine
der wichtigsten Innovationen im Kulturbetrieb der letzten Jahrzehnte
dar. Es ist eine bewusste Abkehr, ja geradezu ein Aufbegehren gegen
die stetig zunehmende Miniaturisierung, wie sie bei
stecknadelkopfgroßen Notebooks und der immer beliebter werdenden
Quantentheorie allgegenwärtig ist. Und wer hat noch nie sein
kleinformatiges Mobiltelefon mit einem Schokoriegel verwechselt und
es sich in den Mund
gestopft. Solch ein Fauxpas kann bei diesem
Artefakt schwerlich passieren. Seine Abmessungen betragen 2,2 cm
Breite x 1,6 cm Höhe, bei einer Länge von etwa 26 Metern.
Dieses eher unhandliche Format
wird von der Industrie bereits als Nachfolge-Technologie der DVD
gehandelt und als richtiger Schritt zu einem effektiven Kopierschutz
gelobt. Zudem verpricht es den darbenden Lichtspielhäusern eine
Rennaissance, da trotz der zu erwartenden günstigen Abspielgeräte
vom Discounter, die Wohnverhältnisse der meisten Verbraucher eine
Installation der Technik nicht ohne Belästigung angrenzender
Häuserblöcke
erlaubt. Inhalt Der Film, die Skulptur, erzählt
die Geschichte der Kampfkunst, von den Anfängen bis heute. Die
neueren Aufnahmen werden dominiert von Scharlatanerie,
Dilettantismus, Betrug, Lügen, Vetternwirtschaft und
Geschäftemacherei. Der Budoka wird fehlgeleitet durch die
mundgerechte Feilbietung wertloser Rangabzeichen nach sinnentleertem
Training. Erst beim Eintauchen in tiefere Bildebenen wird das wahre
Geschehen deutlich und der augenblickliche Zustand als eine
Leistungsschau der Verirrungen
bloßgestellt. Die Erkundung des Werkes
erscheint zunächst aufwendig, ist aber mit etwas Einsatz von jedem
zu bewerkstelligen. Selbst die einfachsten waffenfähigen
Hochleistungslaser, die vielen populärwissenschaftlichen
Fachzeitschriften beiliegen, können tiefere Bereiche abtasten und
sichtbar machen. Und die nächste Generation von Smartphones wird
neben Online Massage auch Apps mit homöopathischer Holographie
vorweisen. So kann man sich auf Entdeckungstour begeben, kann die Wirklichkeit hinter dem
Tagesgeschehen
erkunden,
kann reisen durch die Schichten und die Geschichte der Kampfkünste
und einer unbekannten Welt begegnen. Ganz nebenbei erleben wir hier
die Geburt einer neuen Wissenschaft, der Kampfkunst
Archäologie.
Internationale
Kritikerstimmen Der moderne Rattenfänger von
Hameln hat seine Flöte gegen eine Prüferlizenz getauscht. Die
Fachverbände sind Fließbänder für Graduierungen geworden, ihre
Vereine Auslieferungslager für die bunten Statussymbole einer
Selbsttäuschungskultur. Es ist Augenwischerei im industriellen
Maßstab wie man es bislang nur von Wahlwerbung und Mehrwegpfand für
Nuklearsprengköpfe kannte. Das ist die Kernaussage der
Skulptur.
...
auf dem
Weg zum Klassiker. Zeitlos und barbarisch offen
wird
die
Kunstszene durch ein neues Genre
bereichert.
... ein visuelles Shiatsu aus
Realsatire.
... während die Vorderansicht von
oberflächlichen
Grau-
und Schwarztönen dominiert wird,
gaukelt
die Seitenansicht Außenstehenden ein buntes Potpourri
hochwertiger Stilelemente
vor.
Appendismus I
(Seitenansicht
(Ausschnitt))
... erleben wir einen Karneval
der Phantasie-Graduierungen, der sich durch dieses Werk bis zu
seinen Wurzeln zurückverfolgen
lässt. ... ist das Training in
vielen Vereinen nutzlos wie Wagenheber aus
Kartoffelbrei. ... eine Flucht aus der Bindung an
Pseudo-Autoritäten. ... die öffentliche Meinung über
Unterhaltungs-Budo ist ein Monument des Triumphes von Public
Relations über
Substanz. ... wirkt
das Anbiedern von Antisenseis wie der Balzruf von
Toilettenhäuschen. ... bei Lehrgängen ist das
Niveau der Zuschauer oft genauso hoch, wie das der
Teilnehmer. ... ist
es wahrscheinlicher von Nacktschnecken zusammengeschlagen zu werden,
als bei Gürtelprüfungen
durchzufallen. ... positiv sei zu vermerken,
dass die Lage kaum noch schlimmer werden
kann.
... ist die
momentane Situation ein Buffet aus Feigheit, Pfusch und
Abkassieren. ... faszinierend, wie leichtfüßig
sich Vorzeigemodelle der Vergangenheit selbst
vorführen. ... erzeugt das Werk eine
melancholische Euphorie über den Zerfall der
Kampfkünste. Resümee Dieses Exponat ist das
Gründungswerk einer neuen Stilrichtung der bildenden Kunst, des
sogenannten Appendismus. Belächelt, verachtet und verspottet wie
einst die ersten Vertreter des Impressionismus, arbeitet auch hier
die Zeit für das Genre und wird eine wahre und andauernde
Wertschätzung
hervorbringen. Die innewohnenden
Ausdrucksmöglichkeiten dieser Kunstform eignen sich in
revolutionärer Weise dazu,
ein weites Feld
grässlicher Entwicklungen im Zeitverlauf darzustellen.
Castingshows, Verstaatlichung von
Bankschulden und Privatisierung von Verkehrsampeln können aus einer
pluralistischen Perspektive wahrgenommen
werden. So ist diese Skulptur eine
Dokumentation der Skandale im Budobereich. Sie ermuntert den
Betrachter nicht nur Lehren zu ziehen, sondern auch neue Bilder zu
erzeugen, den Film und die Geschichte fortzuführen und das momentan
vorherrschende Geschehen zu einem dunklen Kapitel zu machen, zu
einer vermeidbaren
Episode.
©
2011 HAW + TDI +
UFA