Schach XT
Liebe Zuschauer, willkommen zur diesjährigen
Schachweltmeisterschaft. Die beiden Kontrahenten X und Y haben
bereits hinter der Spielfläche Platz
genommen.
X hat traditiionelle weiße Figuren mit
Werbeaufklebern, während die von Y ganz in den metallic Farben
seines Sponsors gehalten sind.
Die beiden Spieler sind sehr gegensätzliche
Charaktere. X erscheint wahnsinnig durchtrainiert. Wenn er sich
bewegt, quellen unter seinem Jacket die Muskeln hervor. Das ist
einzigartig in der Geschichte dieser
Veranstaltung.
Soeben eröffnet er die Partie mit
Bauer J2 auf J4, Y antwortet routiniert mit Springer I10 auf
H8.
Beobachten wir das Spiel einige Zeit
unkommentiert. In diesem Jahr wird erstmals mit normierten Figuren
gespielt, angefangen mit den 5 Kg leichten Bauern, über Läufer,
Springer, Turm, Hofnarr und Dame in 5 Kg Schritten bis zum 35 Kg
schweren König.
Das wird vielen
Puristen sicher aufstoßen, doch den Besserwissern sei gesagt: „Alles verändert sich,
lebt damit !“
Heftig diskutiert werden auch andere geplante
Regeländerungen, aber ich denke, dass der zweite König irgendwann
genauso selbstverständlich sein wird wie jetzt die dritte Dame.
Y bewegt erneut einen Turm und
man erkennt schon erste Zeichen der Ermüdung.
Richtig, vergleicht man das mit der Leichtigkeit,
mit der X seine Figuren anhebt, ist klar, dass sich hier ein
Generationswechsel anbahnt. Während Y mit 30 Jahren den Zenit seiner
Leitungsfähigkeit überschritten hat, gehört die Zukunft jungen und
modernen Sportlern.
Aber was ist das ? X drückt
einen Läufer mit beiden Händen hoch und wirft ihn in Richtung
Y, dieser kann gerade noch ausweichen, wie wird er darauf reagieren
?
Erst einmal gar nicht, es tut sich nichts
mehr auf dem Spielfeld. Die Uhr läuft und Y ist am Zug. Er sieht
ratlos aus, steht auf, wendet sich zum Publikum und fängt an, wie
ein Harlekin auf Speed von einem Bein auf das andere zu hüpfen.
Eine vollkommen logische
Einlage, denn das Regelwerk schreibt ja vor, dass in jeder Minute
mindestens eine zulässige Aktion gezeigt werden muss, sonst droht
ein Strafzug, d.h. der Gegner darf zwei Züge hintereinander
ausführen.
Y wendet sich wieder dem Spielfeld zu und ...
macht ... das sieht aus wie ... tatsächlich, er tauscht die
Position von einer Dame und einem Turm und verschiebt einen Bauern
waagerecht.
Dieses Mannöver wird als Clocharde bezeichnet und
ist besonders schwer, weil dabei alle drei Figuren gleichzeitig
bewegt werden müssen, und das mit den vorgeschriebenen
Boxhandschuhen.
Aber Y hat es geschafft ! Unglaublich.
In der Tat, er grinst so breit, dass ihm fast
der Mundschutz rausfällt.
X springt auf, tritt den Spieltisch um, alle
Figuren fallen auf den Boden. Jetzt stellt sich die Lage
folgendermaßen dar: wenn Y alles in 90 Sekunden wieder so aufstellen
kann, wie es war, hat er das Turnier gewonnen, sonst hat X gewonnen.
Eine taktische Meisterleistung, ein Geniestreich, die angeschlagene
Kondition von Y so
auszuspielen.
Und hier sieht man auch wieder den
intellektuellen Anspruch, welchen unbedarfte, ja unfähige Kritiker
dem modernen Schachsport absprechen.
Schafft er es ? Es wird knapp. Das
könnte, nein, die Zeit ist um. Der neue Schwergewichts-Weltmeister
im Vollkontakt Schach ist X !
Nach einer kurzen Werbepause sind wir zurück mit
der After-Match Show, gefolgt von der Dokumentation „Olympisch - warum nicht ?“.
Bleiben Sie dran.