Vereinsversammlung
Im Folgenden bringen wir als
Vorveröffentlichung das Kapitel
„Die
Vereinsversammlung“ aus
dem Buch
„Die
Spaßgesellschaft entlässt ihre Kinder“
von SWV.
Die
Vereinsversammlung
Nach den Aktivitäten der letzten Tage brauchte
ich etwas Abwechslung. Zusammen mit Z, der zwar nicht Mitglied im
Verein war, aber eine leicht maliziöse Ader hatte, ging es zur
Vereinsversammlung in die Räumlichkeiten des ***. „Wir
sind zu früh gekommen“,
bemerkte Z, „die
Masse der Leute fehlt noch. Der Verein soll doch so groß sein.“
Ich klärte ihn auf:
„Das
ist immer so. Nur ein geringer Teil der Mitglieder kommt hier hin.
Den meisten ist die Zeit zu schade, sich jedesmal das gleiche
Geschwätz anzuhören.“
Auch mir wäre es eigentlich zu
dumm, aber in der letzten Zeit war endlich einmal etwas passiert.
Der Karate-Doctor hatte sich im Internet zu Wort gemeldet. Einiges davon hatte ich bereits
gelesen. Eine frappierende Ähnlichkeit mit den Zuständen in unserem
Verein drängte sich auf, und das nicht nur mir. Es wurden zwar keine Namen
genannt, aber die vorgegebene Verhaltensschablone passte genau
auf einen der Vereine und Personen, die ich kannte. Ich hoffte, dass
jemand aus der Praxisgemeinschaft der Karate-Doctoren hier
auftauchen und irgend etwas Unterhaltsames passieren
würde, aber noch war alles
ruhig.
„Wer
sind die Leute da vorn auf dem Podium?“
fragte Z. Um Auskunft zu geben, brauchte ich nicht
hinzusehen, denn es waren seit Jahren immer die gleichen
Personen. Was man vom Publikum nicht behaupten konnte. Nur wenige
ließen diese Veranstaltung öfter als ein oder zwei Mal über
sich ergehen. Das führte dazu, dass die Anwesenden zum
größten Teil neue Mitglieder waren. Plus, wie jemand bemerkte, dem
Hofstaat.
Der
Beginn der Veranstaltung hatte sich wie
üblich verzögert, als nach zwanzig Minuten erneut ein
Zuspätkommer eintraf. „Das
ist Y“,
sagte ich freudig zu Z. „Der
wird als Initiator der Website gehandelt und steht ganz oben auf der
Abschussliste.“ Y
verharrte am Eingang, sah sich um und setzte sich dann in
die letzte Reihe. An diesem Abend bereute ich, keinen Photoapparat
zu besitzen, um den Gesichtsausdruck des *** X
beim Eintreffen von Y für die Nachwelt zu erhalten. Es war eine
groteske Mischung aus Überraschung, Hilflosigkeit und Agression.
Meine Stimmung hellte sich auf. Langsam klangen die Gespräche im
Publikum ab und die Veranstaltung begann.
Nach der Begrüßung der Anwesenden wurde die Tagesordnung
abgearbeitet. Die an die Wand projezierten Zettel sahen abgegriffen
aus, wahrscheinlich mussten
sie schon seit Jahren herhalten. Finanzen, Trainingseinheiten, Turniere, alles klang
genauso bekannt, nichtsagend, ausweichend und beschönigend wie
gewohnt. Mir fiel ein, dass unmittelbar nach Erscheinen der
Karate-Doctor Homepage die offizielle Mitgliederzahl um mehrere
Dutzend Personen reduziert wurde. Unheimlich, der Umfang eines
eigenständigen Vereins verschwunden, von einem Tag auf den
anderen.
Um nicht einzuschlafen, ließ ich meinen Gedanken freien
Lauf. Die
Aufreihung gewisser Vereinsfunktionäre da vorn erinnerte an
das
Zentralkomitee mancher ausgemusteter Staaten. Gleich sollte
sie
kommen, die Parade der Waffengattungen: Zuerst die organisierte
Masse der Weißgurte mit choreographierten Aufwärmübungen,
gefolgt von der Mittelstufe mit rituellen Fauststößen,
dahinter die vorzeigbaren Violettgurte mit Tritten nach vorn
und Blicken seitlich zur Regierungsbank. Der Aufmarsch der
Violetten schien nicht abzureißen, bis klar wurde, dass
die Personen, die an der einen Seite verschwanden, an der
anderen wieder auftauchten.
Mit den Braungurten näherte sich die Vorführung dem Ende.
Etliche waren unbekannt, wahrscheinlich
ausgeliehen von den Satelliten, und der ein oder
andere Extremdunkelgrüngurt schien auch dabei gewesen zu sein. Die
Präsentation der Schwarzgurte entfiel, da mit Putschversuchen zu
rechnen war.
Die Phantasie drohte mit mir durchzugehen, als Z
mich anstieß. Einige
Leute aus dem Publikum forderten Y und X auf, etwas
zu den Vorgängen im Zusammenhang mit dem Karate-Doctor zu
sagen. Y erzählte kurz
die Vorgeschichte und Motivation, es war das gleiche, was auch im
Internet zu lesen war. Ich hoffte auf den Beginn der
Kampfhandlungen.
Der
Stellvertreter von X entrüstete sich ob der Inhalte der
Website und versicherte, dass es weit und breit nur einen gäbe, der
damit gemeint sein könnte.
„Reingefallen!“
zischelte es von hinten. X selbst lieferte drei Kernaussagen; er wisse gar nicht,
um was es überhaupt gehe, er brauche nichts zu erklären und im
übrigen könne jeder gehen, dem es in seinem Verein nicht
gefällt.
Es wurden noch einige Details
verbal hin- und hergeworfen, die ich aber nicht verstand.
*** verkündete, dass kein weiteres
Interesse an diesem Thema bestünde und ließ es beenden.
Alles wie gehabt.
Die meiste Zeit saß X da,
wie ***, dem man ***. „Was
war nochmal die Funktion von dem?“
fragte Z. „Das
ist der Vereinsvorsitzende“,
antwortete ich. „Wieder
ein Grund mehr, sich von Vereinen fernzuhalten“, frotzelte Z.
„Läuft
das hier immer so?“ „Manchmal
redet er zu den Leuten, aber nicht mit ihnen.“ Als
wolle er mich Lügen strafen, meldete sich X zu Wort. Er hielt
es für angebracht, seine Aufwandsentschädigung zu erhöhen, genau
gesagt, fast zu verdoppeln. Mir wurde übel, als die Mehrheit dem
zustimmte, ohne in irgendeiner Form über mögliche
Gegenleistungen informiert zu werden. „Mit
euch kann man wohl alles machen!“
stellte Z fest.
Bald folgte der rituelle
Höhepunkt der Veranstaltung, die Wiederwahl von
***. Die Mehrheit der 8%
anwesenden Vereinsmitglieder wählte X. „In
der Vereinszeitung steht dann, dass X mit fast
100% bestätigt wurde“,
erklärte ich. Es
war ein Fehler, erneut hier
herzukommen.
Nach einigen belanglosen Punkten
löste sich die Versammlung auf. Beim Rausgehen bemerkte ich
noch, wie X gezielt auf die Frager nach dem Karate-Doctor zuging und sie
umgarnte.
Auf dem Rückweg sprachen
wir über Sinn und Nutzen von Demokratie und was passiert, wenn
falsch- oder nicht-informierte Leute abstimmen. Nach der
Verabschiedung von Z war klar, dass sich meine Stimmung nicht
nachhaltig gebessert hatte. Ich überlegte, ob es sinnvoller
sei, den Verein zu verlassen, oder, wie manche sagen, den
Verein im Verein zu suchen, solange es ihn noch
gibt.
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2005 SWV |