Spuren
Im folgenden Vorabdruck wieder einige Ausschnitte
aus dem autobiografischen Buch "Die Spaßgesellschaft entlässt ihre Kinder" von SWV.
Weitere Auszüge finden sich auf dieser Website in dem Beitrag
"Vereinsversammlung".
Eine persönliche Bilanz, genauso wie ein Stück
vorauseilender Zeitgeschichte.
Spuren
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Somit hatte ich Hausverbot und konnte die Örtlichkeiten
nur noch im Karneval betreten, wenn eine Verkleidung nicht auffiel.
Nur wenige Erinnerungen sind geblieben an diese Zeit,
aber manche Ereignisse haben prägende Spuren hinterlassen. Wir
wohnten in einer unsicheren Gegend. Vor dem Haus patroullierte
laufend die Polizei. Mein Bruder war ihr Nahkampftrainer und zeigte
ihnen, wie man Tritte, Schläge und Stockhiebe ohne Schutzausrüstung
aushalten kann. Danach fuhren sie ihn zur Arbeit. Er ging auf
Montage und war lange Zeit nicht daheim. Die Schwester war ebenfalls
sehr beliebt. Ich habe sie öfter in einem Polizeiwagen gesehen, als
in ihrem Zimmer.
Vater war begeisteter Budoka. Er sammelte Graduierungen
in allen möglichen Kampfsportarten. Bald hatte er Meistertitel in
sämtlichen Stilrichtungen, die das Lexikon hergibt. Und nicht
irgendwelche Graduierungen, sondern die höchsten; nicht selten
auch höhere, wie bislang bekannt. Seine Titel erhielt er von
elitären Verbänden aus Ländern, die auf keinem Globus zu finden sind
und bei Google nur nach ausgiebiger Umstellung der Buchstaben einige
wenige Resultate erbringen. Zudem schreckte er nicht vor der
Gründung eigener Organisationen zurück, an deren Spitze er sich dann
als Größtmeister einsetzen konnte.
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Mit den Jahren wurde es intensiver. Die Geschwister waren
nun bei den Sicherheitskräften im Ausland immer stärker gefragt.
Auch Vater entwickelte sich weiter. Irgendwann fing er an, neue
Kampfsportarten zu erfinden, mit allem, was dazu gehört.
Bettvorleger, Bügeleisen und Computermäuse wurden zu traditionellen
Waffen seiner Kampfkünste erhoben. Dazu gehörte KaKloDo, eine
Weiterentwickung von Nunchakus, bestehend aus zwei Katzenklos, die
mit Gummibändern verbunden sind. Jede seiner Bewegungen erklärte er
zum neuen Stil. Sein Favorit war GefSchWer Do, Bewegungsabläufe, die
sich ergeben, wenn man übermüdet versucht, mit gefrorenen
Schweinehälften zu werfen.
Unser Haus wandelte sich mehr und mehr zu einem
Warenlager und bot bald eine Optik, die in der
Organisationshierarchie noch unter dem Haufenprinzip
rangiert.
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Schließlich brachten wir ihn dazu, professionelle Hilfe
zu suchen und eine Therapie aufzunehmen. Eines Tages teilte er uns
freudig mit, eine neue Kampfsportart zu betreiben. Es war FlHaBa Do
und er bestand darauf, dass wir seinen Meister treffen sollten. Das
war ungewöhnlich, denn bislang war er es immer, der an der Spitze
seiner Weltverbände stand. Das jetzt war neu. Vielleicht war es
echt. Vielleicht hatte er aus seiner Vergangenheit gelernt und nun
einen richtigen Weg eingeschlagen. Wir versuchten zu erraten,
was FlHaBa bedeuten könnte und kamen auf Floating Hand Bashing, der
Weg der fließenden schlagenden Hand.
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Als wir den Raum betraten, war das Rätsel gelöst, alle
Fragen beantwortet und die Zukunft nun endgültig vorgezeichnet.
Auf dem Ehrenplatz für den Großmeister saß, in seiner ganzen Pracht,
Bodo, unser Bernhardiner. Und FlHaBa erwies sich als das
wohlklingende Kürzel für Floh-Hals-Band. Der Weg der chemisch
imprägnierten Rundseile, technisch und spirituell ausgearbeitet bis
in die letzten Einzelheiten einer fiktiven Prüfungsordnung. Und
natürlich hatte er es sich nicht nehmen lassen, mehrere Hundezwinger
aus der Umgebung als Dojo anzuerkennen.
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Immer wenn ich heute einem Pseudoka mit seinen
nachgeschmissenen Graduierungen begegne, muss ich daran denken, an
die Kindheit, die mich auf so verschlungenen Pfaden auf den Alltag
der Verdummungskultur vorbereitet hat.
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