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Sportreportage

Der Lehrgang

 

 

Liebe Zuschauer, herzlich willkommen zur heutigen Ausgabe der Sportreportage. An diesem Wochenende sind wir bei dem jährlichen Lehrgang in Y-Stadt und schalten gleich zu unserem Reporter vor Ort.

 

Ja, hallo. Momentan läuft das Training der ersten Gruppe, etwa 100 Teilnehmer. Die zweite Gruppe bereitet sich vor, ebenfalls etwa 100 Teilnehmer.

 

Wie sind die lokalen Gegebenheiten, was für Trainingsbedingungen gibt es ?

 

Sehr gute. Der Halleninnenraum bietet Platz für mehr als 500 Personen. Zusätzlich gibt es hunderte Tribünenplätze.

 

Hat sich schon etwas besonderes ereignet ?

 

Nein, alles ist erwartungsgemäß abgelaufen, wir haben also überhaupt nichts verpasst. Mittlerweile nähert sich die erste Trainingseinheit dem Ende. Soeben ist das Abgrüßen abgeschlossen und leitet damit den Wechsel der Trainingsgruppen ein. Die zweite Gruppe wartet in dem engen Gang, der die großzügig dimensionierten Umkleidekabinen mit der Halle verbindet. Die ersten Teilnehmer drängen nun aus dem Gang in den Halleninnenraum. Der Durchgang fasst etwa zwei bis drei Personen. Momentan ist es noch relativ geordnet, aber jetzt haben auch die ersten Teilnehmer aus der Halle den Duchgang erreicht. Es geht los.

 

Die Vertreter der beiden Gruppen treffen aufeinander, zwängen sich aneinander vorbei. Der Druck von beiden Seiten steigt ständig an und der Stau in und um den Durchgang nimmt Gestalt an. Auf immer enger werdendem Raum schleichen die Leute ihren gegenüberliegenden Zielen entgegen. Inzwischen hat sich bereits der traditionelle Rückstau gebildet. Selbst in einiger Entfernung verkeilen sich Teilnehmer auf beiden Seiten. Zwischen Halle und Gang stehen zwei etwa gleichgroße Menschentrauben, die sich beim Passieren des Nadelöhrs gegenseitig behindern. Im Kampf um die entscheidenden Sekunden verlieren sich jegliche Anwandlungen von Respekt und Rücksicht. Erfahrungsgemäß dauert es nur wenige Minuten, bis alle Graduierungen auf ihre urzeitliche Abstammung reduziert werden. Da herrscht nicht der Budo Geist, sondern Darwin. Die Durchflussgeschwindigkeit sinkt immer mehr und geht gegen Null. Einige Personen mäandern zwischen Halle und Gang, werden zum Spielball der drückenden Massen, verlieren sich zwischen den Gürtelfarben, klammern sich an die Backsteinwand, versuchen ihre Position zu halten. Da wird jeder Stillstand zum Fortschritt.

 

Man könnte meinen, dass hier vollkommen strukturlose Abläufe im Gang sind, aber das ist wohl nicht der Fall.

 

Richtig. Bislang konnten wir die erste Phase beobachten und die zweite Phase beginnt in diesem Augenblick. Soeben haben die ersten Leute aus der Halle den Durchgang passiert und quälen sich nun durch den mit wartenden und entgegenkommenden Teilnehmern angefüllten Gang. Es wird gestoßen und gezwängt, Unmutsäußerungen wandeln sich zu körperlichen Aktionen. Das gleiche Bild bietet sich auch auf der anderen Seite. Wir genießen den Kontrast zwischen Menschenauflauf in der Nähe der Tür und dem weiten leeren Raum der restlichen Halle, wo einige Leute unbeeindruckt von dem Geschehen Fußball spielen. Jetzt stürmen erste Nachzügler aus den Umkleidekabinen in Richtung Durchgang, sie werden jäh gebremst und auch vor den Kabinen bilden sich weitere kleinere Staus, die unvorhersehbare Strömungen erzeugen und auf immer neue Arten die Beteiligten am gemeinsamen Fortkommen hindern. Hier wird die Chaos Theorie lebendig. Das Gürtelbinden eines Grüngurtes in der Umkleidekabine kann eine Panik im Halleninnenraum auslösen.

 

Eine Frage zwischendurch. Hat man den Teilnehmern irgendwann gesagt, wie sie sich beim Wechsel der Trainingsgruppen am besten verhalten sollen ?

 

Ja, in der Tat, heute wurde erneut eine genaue Erklärung gegeben, der schon legendäre Vortrag über Theorie und Praxis von Warteschlangen. Es ist phantastisch, es hat wieder einmal nichts genutzt und das unterstreicht sowohl den Charakter als auch das zukünftige Show Potenzial der ganzen Sache.

 

Unsere Erwartungen haben sich also wieder einmal erfüllt.

 

Auf jeden Fall. Diese Art von Veranstaltung hat sich ja von einem Geheimtipp zu einem Publikumsrenner entwickelt. Mittlerweile ist eine Popularität erreicht, die an das Stiertreiben von Pamplona und die Stechquallenhatz der FKK Freunde Troisbüttel heranreicht.

 

Es soll ernsthafte Überlegungen geben, dies als neue eigenständige Sportdisziplin aufzunehmen.

    

Ja, es ist der kommende Fun-Massensport des Jahrzehnts, das sogenannte Penetrating People Pushing, PPP, P3 oder Triple-P. Allerdings ist es nichts neues, sondern hat Tradition, denken wir nur an die Eröffnung vom Schlussverkauf, die Rush Hour in der U-Bahn von Tokio und die Bewerberschlange für Deutschland sucht den Superproll.

   

Aber wenden wir uns wieder dem heutigen Geschehen zu. Soeben betritt ein Teilnehmer mit einer unfassbar großen Sporttasche den Durchgang und leitet einen weiteren Höhepunkt der Veranstaltung ein. Mehrere Leute werden seitlich abgedrängt, es entsteht ein Sog, der bereits durchgekommene Teilnehmer wieder in den Gang zieht. Orientierungslosigkeit macht sich breit, einige Personen drehen sich im Kreis, ziehen ihre Trainingshosen bis über den Kopf, andere verbeißen sich in ihre Handtücher, mehrere Anfänger werfen verzweifelt ihre Gürtel weg. In einem Nebenraum bereiten sich einige Resignierte offenbar auf einen längeren Aufenthalt vor und tauschen Rezepte zur schmackhaften Zubereitung von Duschgel aus. Die ersten Fragen über die Verantwortung für das Geschehen werden gestellt. Die Atmosphäre wird immer gespannter. Als jemand das Bellen eines Hundes täuschend echt nachahmt, entlädt sich die Wut des Mobs an der Hausmeisterkabine.

   

In diesen Minuten unmittelbar vor Beginn der nächsten Trainingseinheit, der Zeit höchster Anspannung und Belastung, dieser Extremsituation des modernen Kampfsports, hat es ja schon des öfteren sehr kreative Entwicklungen gegeben.

 

Das ist richtig. Wir erinnern uns an den Lehrgang in X-Dorf, wo ein Spaßvogel das Gerücht verbreitet hatte, dass sämtliche Getränke mit Abführmitteln versetzt worden seien und dadurch eine Stampede auslöste.

Moment, hier bei uns tut sich etwas in den Überresten des Technikraumes, wo ein frustrierter Teilnehmer immer wieder mit dem Kopf auf den Lichtschalter schlägt und so die Beleuchtung laufend ein und aus schaltet. Die Klimaanlage ist schon längst ausgefallen, da steigt nicht nur die körperliche, sondern auch die psychische Belastung. Jetzt stürmen die Leute in alle Richtungen, stolpern, fallen übereinander und als wäre es nicht chaotisch genug, nähert sich nun aus dem Umkleideraum jemand mit einem Fahrrad und versucht ....

 

Ja, liebe Zuschauer, da haben wir den Kontakt zum Außenteam verloren, wie schon so oft bei vorangegangenen Veranstaltungen, wo unsere Reporter von den unkontrollierten Massen überrannt wurden. Nächste Woche gibt es einen Höhepunkt der Saison, die jährliche Großveranstaltung in Z-Stadt, eine Halle mit zwei Eingängen, wobei aber dreimal so viele Teilnehmer erwartet werden. In der Vergangenheit sind hier beim Wechsel der Trainingsgruppen schon mehrere Personen auf Dauer verschwunden. Bis dahin - Auf Wiedersehen.

 

© 2008 DPA

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