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Rotgürtelchen

 

Ein Budo Märchen

 

 

Eines Tages sprach ihr Meister zu Rotgürtelchen:

 

»Komm, Rotgürtelchen, da hast du Ziegelsteine und Holzbretter, bring das dem Großmeister hinaus; er ist vom Lehrgang gelangweilt und wird sich daran laben. Mach dich auf, bevor das Training anfängt, und wenn du hinauskommst, so geh hübsch sittsam und komm nicht vom Do ab, sonst fällst du und dein ganzes Training war vergebens, und der Großmeister hat nichts. Und wenn du in sein Dojo kommst, so vergiss nicht, Oss zu sagen, und schlag nicht erst auf allen Makiwaras herum.«

 

»Ich will schon alles gut machen«

 

sagte Rotgürtelchen zum Meister und verbeugte sich. Der Großmeister aber hatte sein Dojo draußen im Wald, eine halbe Stunde von der Mehrzweckhalle. Wie nun Rotgürtelchen in den Wald kam, begegnete ihm der Antisensei. Rotgürtelchen aber wusste nicht, was das für ein böser Scharlatan war, und fürchtete sich nicht vor ihm.

»Oss, Rotgürtelchen«, sprach er.

»Schönen Dank, Antisensei.«

»Wo hinaus so früh, Rotgürtelchen?«

»Zum Großmeister.«

»Was trägst du unter dem Gi?«

»Ziegelsteine und Bretter: gestern waren wir im Baumarkt, da soll sich der gelangweilte Großmeister etwas zugut tun und sich damit stärken.«

 

»Rotgürtelchen, wo wohnt dein Großmeister?«

 

»Noch eine gute Viertelstunde weiter im Wald, unter den drei großen Sandsäcken, da steht sein Dojo, unten sind die Makiwaras, das wirst du ja wissen«, sagte Rotgürtelchen.

 

Der Antisensei dachte bei sich: »Der junge unerfahrene Anfänger, das ist ein fetter Bissen, der wird mir noch mehr Gefallen tun als der alte Meister: du musst es listig anfangen, damit du beide über den Tisch ziehst.«

 

Da ging er ein Weilchen neben Rotgürtelchen her, dann sprach er:

 

»Rotgürtelchen, sieh einmal die Leute vom Ferien-Club Budo, die ringsum trainieren, warum guckst du dich nicht um? Ich glaube, du hörst gar nicht, wie die so lieblich Kiai machen? Du gehst ja für dich hin, als wenn du zur Schule gingst, und ist so lustig haußen in dem Wald.«

 

Rotgürtelchen schlug die Augen auf, und als es sah, wie die hin und her tanzten und alle schön voll waren, dachte es: »Wenn ich dem Großmeister einige davon mitbringe, wird ihm auch Freude machen, sie zusammenzuscheißen; es ist so früh am Tag, dass ich doch zu rechter Zeit ankomme«, lief vom Weg ab in den Wald hinein und suchte Spaß-Budoka. Und wenn es einen gefangen hatte, meinte es, weiter hinaus stände ein noch degenerierterer, und lief darnach, und geriet immer tiefer in den Wald hinein. Der Antisensei aber ging geradeswegs nach dem Dojo des Großmeisters und klopfte an die Türe.

 

»Wer ist draußen?«

 

»Rotgürtelchen, das bringt Ziegelsteine und Bretter, mach auf.«

 

»Drück nur auf die Klinke«, rief der Großmeister, »ich mache Liegestütze und kann nicht aufstehen.«

 

Der Antisensei drückte auf die Klinke, die Türe sprang auf, und er ging, ohne ein Wort zu sprechen, gerade zum Großmeister und sperrte ihn in die Umkleidekabine. Dann tat er seinen Gi an, band seinen Gürtel um, stellte sich in den Trainingsraum und zog die Vorhänge vor.

 

Rotgürtelchen aber war nach den Spaß-Budoka herumgelaufen, und als es so viel zusammen hatte, dass es für einen Verein reichte, fiel ihm der Großmeister wieder ein, und es machte sich auf den Weg zu ihm. Es wunderte sich, dass die Türe aufstand, und wie es in das Dojo trat, so kam es ihm so seltsam darin vor, dass es dachte: »Ei, du mein Gott, wie ängstlich wird mir's heute zumut, und bin sonst so gerne bei dem Großmeister!« Es rief »Oss«, bekam aber keine Antwort. Darauf ging es hinein und zog die Vorhänge zurück: da war der Großmeister und hatte den Gi hoch ins Gesicht gesetzt und machte so wunderliche Bewegungen.

»Ei, Großmeister, was hast du für einen schlechten Stand!«

»Dass ich bequemer stehen kann.«

»Ei, Großmeister, was hast du für langsame Techniken!«

»Dass ich keinen Muskelkater bekomme.«

»Ei, Großmeister, was hast du für ein schwaches Kime.«

»Dass ich mich nicht so anstrenge.«

»Aber, Großmeister, was hast du für einen entsetzlich großen Stempel!«

»Dass ich dich besser graduieren kann.«

Kaum hatte der Antisensei das gesagt, so tat er einen Satz und graduierte das arme Rotgürtelchen zum Grüngurt.

 

Wie der Antisensei sein Gelüsten gestillt hatte, holte er seine Mitläufer, stolzierte er wieder in das Dojo, stellte sich vor sie hin und fing an, überlaut anzugeben.

 

Der Karate-Doctor ging eben an dem Dojo vorbei und dachte: »Wie der alte Großmeister dumm rumlallt, du musst doch sehen, ob ihm etwas fehlt.« Da trat er in das Dojo, und wie er vor den Trainingsraum kam, so sah er, dass der Antisensei darin rumhampelte. »Finde ich dich hier, du alter Sünder«, sagte er, »ich habe dich lange gesucht.« Nun wollte er die Gewerbeaufsicht holen, da fiel ihm ein, der Antisensei könnte den Großmeister gefangen haben und er wäre noch zu retten: holte sie nicht, sondern nahm eine Schere und fing an, dem schwätzenden Antisensei die Prüferlizenz zu zerschneiden. Wie er ein paar Schnitte getan hatte, da sah er das rot-grüne Gürtelchen leuchten, und noch ein paar Schnitte, da sprang es aus der Trainingsgruppe heraus und rief:

 

»Ach, wie war ich erschrocken, wie war's so schlecht in dem Antisensei seinem Verein!«

 

Und dann kam der alte Großmeister auch noch aus der Umkleidekabine heraus und konnte sich kaum beherrschen. Rotgürtelchen aber holte geschwind große Prüfungsurkunden, damit füllten sie dem Antisensei den Arsch, und wie er es merkte, wollte er fortspringen, aber die Prüfungsurkunden waren so schwer, dass er gleich niedersank und sich totfiel.

 

Da waren alle drei vergnügt; der Karate-Doctor zog dem Antisensei den Gi und den Gürtel aus und ging heim, der Großmeister zerschlug die Steine und die Bretter, die Rotgürtelchen gebracht hatte, und freute sich wieder, Rotgürtelchen aber dachte: »Du willst dein Lebtag nicht wieder allein vom Do ab zum Spaß-Budo laufen, wenn dir's der Meister verboten hat.«

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